Haus Hoffnung in Simferopol

Die Krim war von Ende 1941 bis 1944 von deutschen Truppen besetzt und sollte zu einem Mustergebiet nationalsozialistischer Herrschaft werden. Neben anderen siedelte sich auch der Reemtsma-Konzern dort an und wollte durch den Zugriff auf die Tabakwirtschaft der südlichen Sowjetunion seine Kontrolle über den Tabaksektor in Europa absichern und das Unternehmen in einen global player der Lebens- und Genussmittelindustrie verwandeln. Insgesamt wurden etwa 17.000 Menschen zur Arbeit auf den Tabakfeldern und den Verarbeitungsbetrieben gezwungen.

Viele Krimbewohner wurden auf Befehl der Deutschen ab 1944 auch in dem berüchtigten KZ Krasny in der Nähe von Simferopol interniert und getötet. Auf dem Gelände des ehemaligen KZ gibt es heute ein Museum und eine Gedenkstätte.

Viele andere Krimbewohner wurden nach Deutschland verschleppt, stellvertretend für viele steht Maria Frolowa. Nach ihrer Verschleppung nach Deutschland wurde Maria zur Zwangsarbeit in einem Rüstungsbetrieb verpflichtet. Sie weigerte sich, Waffen gegen ihr Land und ihre Familie zu montieren, wurde von der Gestapo verhaftet, in das berüchtigte Gefängnis am Alexanderplatz in Berlin verbracht und schließlich ins KZ Ravensbrück überstellt.

Maria Frolowa aus Simferopol, langjährige Vereinsvorsitzende

Maria Frolowa

Maria, Jahrgang 1927, ist die Vereinsvorsitzende des „Städtischen Simferopoler Invalidenvereins ehemaliger KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter“, der 2000 gegründet wurde. Sie gehörte zu den knapp 13,5 Millionen Menschen, die zwischen 1939 und 1945 Zwangsarbeit in Deutschland leisten mussten, entweder als zivile Zwangsarbeiter, als KZ-Häftlinge oder als Kriegsgefangene. Das gesamte deutsche Reichsgebiet war von einem gigantischen Netz von Zwangsarbeitslagern überzogen, allein in Hamburg gab es ca. 1 500 solcher Lager, die Gesamtzahl liegt bei mindestens 20 000 Lagern sowie ca. 1 200 KZ und Außenlager.

Wie kam es zu dieser Vereinsgründung?

1998 kam Maria Frolowa auf Einladung unseres Netzwerkes erstmals wieder nach Deutschland, betrat 53 Jahre nach der Befreiung des KZ Ravensbrück jenen Ort, an dem sie als junge Frau interniert war.

Nach ihrer Rückkehr aus Deutschland gab Maria eine Annonce in einer Simferopoler Zeitung auf, um von ihrem Besuch in Deutschland zu berichten. Innerhalb kürzester Zeit meldeten sich 58 ehemalige KZ-Häftlinge und nach Deutschland verschleppte ZwangsarbeiterInnen. Sie gründeten kurz darauf mit über 250 Mitgliedern den „Simferopoler Städtischen Invalidenverein ehemaliger KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter“ von den heute noch 63 hochbetagte alten Menschen leben.

Nach 53 Jahren sprachen die Menschen erstmals über ihr gemeinsam erlittenes Schicksal. Jahrelang hatten sie über ihre Vergangenheit selbst gegenüber den Familien schweigen müssen, denn ihnen wurden Verrat am Vaterland und Zusammenarbeit mit dem Feind vorgeworfen. Einige wurden nach dem KZ und und/oder der zivilen Zwangsarbeit in Deutschland gleichsam zur Strafe nach Sibirien „umgesiedelt“. Sie durften erst Mitte der 1960er-Jahre in ihre Heimat auf der Krim zurückkehren.

Die Vereinsmitglieder beließen es nicht bei ihrer internen Verständigung – sie gingen und gehen unermüdlich in Schulen, nehmen an öffentlichen Veranstaltungen teil, um endlich den Schleier der jahrzehntelangen gesellschaftlichen Verdrängung über ihrem Schicksal zu zerreißen.

Noch etwas konnten sie mit finanzieller Unterstützung ihrer deutschen Freunde erreichen. Der Fürstenberger Förderverein der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, Herma Römer (ab 2008 die Kurt und Herta Römer Stiftung), die KrimInitiative und andere), die ihrerseits auch Geldquellen erschlossen durch Spenden und/oder durch Anträge an Drittmittelgeber.

Haus Hoffnung – Дом Надежда

Vereinsmitglieder vor ihrem Haus Hoffnung, Simferopol
Vereinsmitglieder vor dem Eingang in das Haus Hoffnung

Diesen Namen haben die Vereinsmitglieder ihrem kleinen Haus im südlichen Teil der Stadt Simferopol gegeben. Das Gebäude wurde mit unserer finanziellen Unterstützung sowie durch ganz praktische Handwerkerarbeit von Menschen aus Hamburg und dem Wendland (Krim-Initiative) gründlich saniert und bewohnbar gemacht.

Das Haus ist das Kommunikationszentrum, wo die alten Menschen miteinander reden, Geburtstage und offizielle Feiertage begehen, singen, um die Seele zu erleichtern und die Einsamkeit im Alter zu verdrängen, wenn es keine Familienangehörigen mehr gibt. Auch der verstorbenen Vereinsmitglieder gedenken alle gemeinsam.

Vor allem aber ist es das Organisationszentrum, wo die drei Vereinsvorstände Ljudmila, Tatjana und Swetlana, Töchter ehemaliger KZ-Häftlinge, also die zweite Generation, den hochbetagten Menschen ganz praktische Hilfe leisten, zusammen mit ihren Töchtern, der dritten Generation. Unterstützt werden sie von 14 Kuratorinnen, ebenfalls Vereinsmitglieder und Damen um die 80 Jahre. Diese sind noch relativ beweglich und waren meist als Kinder in den verschiedenen KZs oder Arbeitslagern zur Welt gekommen und mussten die ersten Lebensjahre dort verbringen. So ist eine Kuratorin zum Beispiel für die Region der Hafenstadt Sewastopol zuständig, eine andere für die Stadt Aluschta am Meer unweit von Jalta, eine dritte für die Stadt Kertsch im Osten der Halbinsel; wieder andere besuchen die Mitglieder in entlegensten Wohnorten.

Sie betreuen die alten Menschen wie bei uns ein Pflegedienst: Sie kaufen ein, waschen die Wäsche, erledigen alles Notwendige im Haushalt, besorgen Medikamente, Gehhilfen, Kleidung, Schuhe – je nach Kontostand ihrer Unterstützer.

Das Wichtigste: Sie hören den alten Menschen zu und trösten sie, wenn die Traumata der Vergangenheit im KZ oder der Zwangsarbeit wieder aufbrechen – und begleiten ihre Schützlinge bis zum letzten Atemzug.

„Für jeden ist es sehr wichtig, dass es einen Ort gibt, wo er gemocht und respektiert wird, wo er gebührende Aufmerksamkeit erfährt. Und wir freuen uns, wenn das Haus voller Gäste ist.“

Nach dieser selbst gesetzten Verpflichtung handeln Ljuda, Sweta und Tanja mit ihren Kuratorinnen. Bei jedem unserer Besuche auf der Krim müssen wir erfahren, dass die Lebensumstände der hochbetagten, oft pflegebedürftigen Menschen trotz unserer zahlreichen Bemühungen zum Teil erbärmlich sind.

Obwohl wir die russische Annexion der Krim im März 2014 als völkerrechtswidrig verurteilen, versuchen wir trotz der Sanktionen, die Unterstützung der Überlebenden und des humanitären Netzwerkes um das Simferopoler „Haus Hoffnung“ aufrechtzuerhalten.

Putin hin oder her, seit November 2014 erhalten ältere Menschen auf der Halbinsel tatsächlich notwendige Medikamente, für die sie vorher viel Geld aufwenden mussten, sowie höhere Renten, auch inflationsbereinigt. Für Krankenpflege und bettlägerig Bedürftige gibt es allerdings auch von der russischen Sozialpolitik nichts. Diese Absicherung bleibt weiterhin unser Stiftungsschwerpunkt.

Für die alten Menschen ist es am Ende ihres Lebens sehr bedeutsam, dass ihnen Respekt (siehe die Zeitungsbeilage „respekt“ der „taz“ vom 20. März 2010) angesichts ihres Schicksals gezollt wird, dass sie von der Enkel- und Urenkelgeneration ihrer Täter gesehen und gehört werden.

Deshalb ist jede Spende nötig und wird in Dollar direkt an die alten Menschen weitergeleitet.